Eigentlich soll es eine Skitour in den Lechtaler Alpen werden, mit Übernachtung im Winterraum der Hanauer Hütte. Bei guten Bedingungen ist der Winterraum dieser Hütte inzwischen allerdings meistens überfüllt. Man braucht also Glück oder leicht durchwachsenes Wetter, das nicht allzu viele Besucher anlockt. Die Wettervorhersage sieht dann aber eher nach idealen Bedingungen aus. Also mal vorsichtig bei den Teilnehmern nachgefragt, ob man sich alternativ eine Skitour im Rätikon vorstellen könnte, die nicht selten zu den schönsten Skitouren der Ostalpen gezählt wird. Die Zustimmung ist groß und so steht einer Tour auf den Großen Drusenturm nichts im Weg. Im letzten Winter waren wir schon einmal in der Gegend unterwegs bei der Durchquerung des Rätikons von Brand zur Lindauer Hütte. Wegen Nebel und Neuschnee mussten wir damals auf den Drusenturm verzichten. In einem Sammelbericht soll hier von beiden Touren und einem Wochenende im nicht weit entfernt liegenden Gargellen berichtet werden.
Bei bestem Wetter in Brand gestartet geht es im Februar 2018 hoch Richtung Lüner See. Kurz vor dem See wartet die berüchtigte Schlüsselstelle, der Böse Tritt. Wir müssen hier kurz die Ski abschnallen und zu Fuß eine glatte Felsplatte queren, schaffen die Stelle dank guter Verhältnisse zum Glück aber schmerzfrei ohne einen bösen Tritt abzubekommen. Vom zugefrorenen und tief verschneiten See aus ist es nicht mehr weit zur Totalphütte. Die Sorge, dass der Winterraum dieser Hütte überfüllt sein könnte, verfliegt beim Anblick der bis auf Kopfhöhe unter Schnee vergrabenen Tür des kleinen Winterraums. Die Wahrscheinlichkeit, dass uns nach dem Freischaufeln ein überfüllter Winterraum erwartet, ist somit verschwindend gering.
Nach dem Freischaufeln des Eingangs gibt es noch einen Abstecher Richtung Schesaplana, dem Hausberg der Totalphütte. Kurz vor dem Gipfel wird die Sicht diffus und der Himmel nimmt eine rötliche Farbe an, die daran erinnert, dass es nicht mehr lange dauern wird bis zur Dämmerung. Um nicht in Zeitnot zu geraten, drehen wir um und erreichen im Abendlicht wieder die Hütte, wo wir mit einem feinen Lammcurry den Tag beschließen. Der nächste Morgen startet mit einer Abfahrt von der Hütte hinab zum Lüner See. So wie wir kann man diese Hütte heute leider nicht mehr erleben. Im Januar 2019 wurde sie trotz ihrer erhöhten Lage am Rand eines weitläufigen Plateaus durch eine Staublawine zerstört. Hier wird wieder einmal deutlich, dass es in den Bergen auch an scheinbar geschützt liegenden Stellen selten eine absolute Sicherheit gibt.
Nachdem der See überquert ist, kommt Richtung Verajoch zunehmend Nebel auf. Die beeindruckenden Felswände der Kirchlispitzen, unter den wir uns bewegen, kann man nur schemenhaft erkennen. Mit wenig Sicht und ohne Spur ist die Orientierung nicht einfach. Auf Höhe des Schweizertors kommt zum Nebel noch starker Schneefall dazu. Der steile Aufstieg zum Großen Drusenturm, zu dem man unterhalb des Öfapasses abzweigen würde, kommt bei diesen Bedingungen nicht in Frage, die Abfahrt zur Lindauer Hütte ist bei diesen Verhältnissen anspruchsvoll genug. Nach einer Pause in der modernen, schön restaurierten Hütte lichtet es kurzzeitig etwas auf und wir können in Richtung Drusentor noch ein bisschen frischen Pulverschnee genießen. Spät abends kommt noch ein erschöpfter Skitourengänger in der Hütte an, der die lange Tour von Gargellen über die schweizer Seite auf die Sulzfluh gemacht hat. Am nächsten Morgen starten auch wir die eindrucksvolle, durchgehend steile Tour über den engen Rachen hoch zur Sulzfluh. Die Sicht ist etwas besser als am Vortag, starker Wind macht die letzten Meter zum Gipfel aber dennoch etwas mühsam. Oben am Gipfel hätte man theoretisch nach Partnun abfahren und dann die Tour nach Gargellen fortsetzen können. So geht es erst einen Monat später wieder mit einer Sektionstour zur Madrisahütte, um auch diese schöne Seite der Gebirgsgruppe zu erleben. Leider neben ein paar sonnigen Stunden auch dort wieder eher nebeliges Wetter, so dass die Touren auf Valzifenzer Joch, Hinterberg und Madrisajoch teils bei nur mäßiger Sicht stattfinden.
Diesen Winter nun der nächste Anlauf zum Großen Drusenturm. Bei herrlichem Sonnenschein ist der Aufstieg zur Lindauer Hütte in gut zwei Stunden zurückgelegt, weiter Richtung Öfapass frischt der Wind dann unvermittelt auf. Beim Spitzkehrentraining im steilen Gipfelhang zum Öfakopf haben wir es fast schon mit Sturmböen zu tun. Erst in der Nacht lässt der Wind nach. Ein paar Frühaufsteher legen am Morgen eine neue Spur an, so dass wir ohne größere Probleme im Sporatobel zwischen beeindruckenden Felswänden und Türmen aufsteigen können. Spannend dann die kurze steile Querung am Ende des Tobels, bevor der Gipfelhang in deutlich flacherem Gelände am Kleinen und Mittleren Drusenturm vorbei zum Gipfel führt, der eine tolle Rundumsicht in die Bernina, andere Gebirgsgruppen und zum Bodensee bietet. Diese Tour ist wirklich ein Juwel und man kann am Gipfel angekommen andere Berichte über diese Tour nur bestätigen, dass man gerade einer der schönsten Touren der Ostalpen unternehmen durfte. Auch die Abfahrt ist wunderschön. Der Sporatobel ist nordseitig ausgerichtet. Trotz der Sonne lässt sich bei der Abfahrt überwiegend traumhafter pulvriger Schnee genießen. Viel zu schnell geht das Wochenende zu Ende. Der nächste Besuch im Rätikon ist schon vorgemerkt. Denn bekanntlich bietet das Rätikon nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer zum Wandern und Klettern traumhafte schöne Touren.
Jochen