Zahlreiche Etappenwanderungen bieten sich zur Überquerung der Alpen an, sei es über das Berner Oberland ins Tessin, oder von Oberstdorf nach Südtirol. Unsere Tour führte in sechs Tagen von Innsbruck nach Meran, die nicht nur zu Fuß sondern mit Bus und Seilbahn bewältigt werden konnte. Bei der Tourenplanung war es wichtig, sich an den besten erwartbaren Eindrücken der vielfältigen hochalpinen Geografie und dem Erlebnis von variantenreichen Vegetationszonen in den mittlerern Alpen zu orientieren.
Treffpunkt war das Café City Point am Innsbrucker Hauptbahnhof. Es glich fast einem Wunder, so der Eindruck aus den Erlebnissen der Bahnfahrer jenes Tages, dass alle sieben Teilnehmer sich rechtzeitig zur geplanten Abfahrt des Linienbusses ins Unterbergtal zusammenfanden.
Der Einstieg in die Tourstrecke begann bei den Grawa Wasserfällen in „feucht-fröhlicher“ Atmosphäre – Fisselregen, aber mit hoher Motivation der Teilnehmer – im Hinblick auf die gesamte Strecke von fast 60 km die vor uns lag.
Nach zweieinhalb Stunden und 600 Höhenmetern war die Sulzenau Hütte, unsere erste Übernachtungstation erreicht. Unterwegs wurde heftig das neueste alpine Sommerlochthema „Bettwanzen auf Alpenhütten“ diskutiert. Wir waren also gespannt.
Überrascht wurden wir von modernisierten Räumlichkeiten mit allerlei Verbesserungen was die Lärm- und Hygieneproblematik anbelangt. Ideen zur Energieeinsparung (neue Fenster, Solarzellen auf dem Dach) machen den Hüttenaufenthalt komfortabel. Den Varianten zur Berechnung der Übernachtung, der Essen und Getränke sind keine Grenzen gesetzt. Hier wurde mit einem Bonsystem inklusive sofortiger Bezahlung gearbeitet.
Bei allen Optimierungen lässt sich eines nicht ändern: die erste Nacht auf einer Hütte, in ungewohnter Geräuschkulisse und Umgebung ist für manchen eine kleine Tortur. Das sollte sich aber bald ändern.
Am nächsten Tag war das wolkige und feuchte Wetter wie weggeblasen. Strahlend blauer Himmel und die ersten Ausblicke auf die verbliebenen Gletscherreste des Sulzenauferners lockte uns zur nächsten Etappe hinauf zum Peiljoch auf 2676 m Höhe. Die Baumgrenze hatten wir schon knapp vor der Sulzenau Hütte verlassen und kletterten langsam durch eine hoch fragmentierte Steinlandschaft auf den Peiljoch Pass mit seinen unzähligen „Steinmännchen“- Formationen. Nach kurzer Rast ging es steil im Zick-Zack bergab zur Dresdener Hütte. Seit 1875 steht das erste Haus im Fernautal und hat heute gewaltige Ausmaße angenommen. Die ersten Eindrücke der Landschaft um die Hütte unterhalb des Stubaigletschers sind ernüchternd. Das gesamte Gebiet ist vom Wintertourismus geprägt und man versucht fast verzweifelt, die letzten Reste des Gletschers mit Abdeckungen in den Winter zu retten. Jüngst stieg die Null-Grad Grenze auf 4800 m! Oben auf dem Schaufeljoch und dem benachbarten Aussichtspunkt „Top of Tyrol“ in 3128 m Höhe, kann man die Entwicklung im Zeichen des Klimawandels gut überblicken. Wir haben uns erlaubt, die Etappe von der Dresdner Hütte bis zum Schaufeljoch mit der Seilbahn abzukürzen und wurden durch einen hervorragenden Rundumblick z.B. über die Stubaier-Wildspitze, Östlicher Daunkogel, Wilde Röterspitz, Zuckerhütl (3505 m) und den Drei-Gletscherblick mit Schaufelf-, Windacher- und Gaißkarferferner belohnt. Die anschließende Überquerung des großen Schneefeldes am Gaißkarfer Gletscher zur Hildesheimer Hütte war eine feucht-nasse Angelegenheit, denn trotz festgestampften Schnees auf dem Weg dahin kam es immer wieder zu kleineren Einbrüchen im tauenden Eis. Auf 2899 m erwartete uns die historische und mit viel typischem Ambiente ausgestattete Hildesheimer Hütte der DAV-Sektion Hildesheim.
Die Hütte wurde 1896 erbaut und erscheint noch so wie damals: mit 24 Zimmerlagern (für je 4-6 Personen), einem historischen Hüttenflair durch altes knarrendes Holz und einer gewissen Enge in den Waschräumen, was dem Streckenwanderer wiederum einen anderen Eindruck der Welt über 2500 m verschafft. Die große Überraschung des Tages: Daniela gab anlässlich ihres Geburtstages und aufgrund des immerwährenden Gespräches über „Kaiserschmarren“ und seiner heilenden Wirkung (!), eine große Pfanne davon mit Apfelmus aus. Der lieben Gönnerin sei noch einmal herzlich gedankt. Die Erkenntnis: Kaiserschmarren verdunstet offenbar schneller als man schauen kann!
Am Folgetag begann der Abstieg ins Windachtal nach Sölden mit gutem Eindruck der Abfolge hochalpiner Vegetationszonen. Mit der Baumzone kamen auch die Almkühe mit Glockengeläut wieder und nach viereinhalb Stunden und 11 Kilometern waren wir schon in unserer frisch renovierten Pension Sportalm angekommen. Hier war das Motto „Ausspannen“ angesagt, mit Ausruhen bis zum gemeinsamen kulinarischen Höhepunkt im „Grauen Bär“ mit seiner hervorragenden österreichischen Küche.
Für den Donnerstag war die Begehung des Ötztaler Panoramaweges nach Vent am hinteren Ende des längsten Alpental Tirols vorgesehen. Mit seinen zahlreichen Wandermöglichkeiten im größten Gletschergebiet der Ostalpen ist das Bergsteigerdorf Vent der Ausgangspunkt von zahlreichen alpinen Klassikern wie Wildspitze, Similaun oder Weisskugel. Nach der Auffahrt mit dem Gletscherbus zum Tiefenbachferner verläuft der schmale Wanderweg leicht abfallend nach 9,5 Kilometern,1100 Höhenmetern und fünf Stunden Gehzeit zu unserem Hotel Alt-Vent.
Am nächsten Morgen brachen wir vor Sonnenaufgang im Tal in Richtung Similaun auf. Uns stand die mit rund 16 km längste Etappe unserer Tour bevor. Langsam steigt der Weg über die Baumgrenze hinaus . Nach sieben Kilometern erreichten wir die Martin-Busch Hütte auf 2501 m. Während unserer kleinen Pause kämpfte sich eine Mountainbikegruppe
in Richtung Similaun durch. Ab hier begann die karge aber sehr beeindruckende Strecke durch die Ötztaler Bergwelt, die dann auf der Passhöhe am Similaungletscher bei 3019 m endete. Die Sauerstoffknappheit machte uns durchaus zu schaffen. Deswegen war auf der Similaun Hütte eine ausgiebige Rast angesagt. Zeitweise im Nebel und teils mit klarer Sicht auf den Vernagt Stausee war der höchste Punkt der Tour erreicht und auch die Überquerung der Grenze nach Südtirol geschafft. Nach einer Gedenkminute an den Fundort der Ötzi-Leiche - in anderthalbstündiger Entfernung von der Hütte am Tisenjoch - begannen wir mit dem Abstieg zu Bushaltestelle am See. Nach sieben Kilometern und 1300 Höhenmeter tiefer standen wir im Biergarten eines Lokals bei der Bushaltestelle am Vernagtstausee im schönen Schnalstal. Für eine zünftige Begrüßung unserer Teilnehmer sorgte ein kleine Rinderherde, die es sich partout nicht nehmen lassen wollte, einige verschwitzte Körperteile unserer Wanderer zu testen. Offensichtlich hatte das schon Methode, denn wegen der geschickten Positionierung der Kühe mitten auf dem Weg kam man kaum um sie herum und wurde gar verfolgt.
Die Alpenüberquerung war geschafft, sechs Tage vergingen wie im Fluge bei bestem Wetter. Der Zirbenschnaps vor der Abfahrt des Busses tat seine Wirkung und verkürzte die Fahrt bis nach Naturns und dann mit der Bahn nach Meran.
Matthias