Irgendwann im Laufe vieler Bergsteigererleben ist es soweit: Für manche ist er der eine Traumberg ihres Lebens. Für Viertausendersammler vielleicht dagegen nur ein Ziel neben vielen anderen oder auch mal ein Ausweichziel bei entsprechender Wetterlage. Der Großglockner ist auf jeden Fall einer der mystischen Berge der Alpen, ebenso wie Mont Blanc, Matterhorn, Ortler und einige andere. Und so gehört es alleine schon aus alpinistischer Neugier dazu, auch einmal auf diesen Berg zu steigen und zu erfahren, was sich hinter dem Mythos Großglockner verbirgt. Der Andrang ist entsprechend groß, gerade auch weil der technische Anspruch einerseits nicht sonderlich groß ist, der grandiose und exponierte Gipfelgrat aber jedem in Erinnerung bleiben wird, mehr sogar vielleicht als so mancher Hatsch-Viertausender.
Eine Gipfelhöhe von 3798m ist im Vergleich zu den hohen Bergen der Westalpen nicht wirklich spektakulär. Der Großglockner ist aber nicht nur prominent als höchster Berg Österreichs. Seine topografische Prominenz von 2423 Metern Höhenmetern, die der Berg über der tiefsten Scharte steht, wird nur vom Mont Blanc übertroffen. Kaum einer ragt also in den Alpen so weit empor.
Wir haben uns den Großglockner als Skihochtour vorgenommen, was zuweilen auch heute noch als Geheimtipp gilt. Beim Losmarschieren vom gut gefüllten Parkplatz ist uns aber bewusst, dass es wohl kaum noch einen Tag gibt, an dem man den Großglockner bei schönem Wetter ohne jede Menge Mitbesucher genießen kann. Bevor wir die Ski anschnallen, laden uns noch zwei Mitarbeiter des Nationalpark-Besucherzentrums ein, mit den aufgestellten Fernrohren Steinböcke an den steilen Berghängen oberhalb des Besucherzentrums zu beobachten. Wir folgen beim Hüttenaufstieg dann erst einem breiten Ziehweg, bevor es am Lucknerhaus vorbei in leichtem Nebel zum Talschluss mit der Stüdlhütte (2801m) geht. Zum Glück sind die Hänge alle schon entladen und die Gefahr von Nassschneelawinen somit gebannt. Die Hütte mit der charakteristischen Röhrenform ist recht gemütlich und geräumig. Auch die Verpflegung ist gut, besonders wenn man sich für das viel gerühmte Abendmenü entscheidet.
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und starten Richtung Gletscher. Nach 1,5 Stunden über vorwiegend flaches Gelände ist am Beginn des klettersteigartig gesicherten Grats hoch zur Adlersruhe mit der Erzherzog Johann-Hütte (3454 m) schon das Skidepot erreicht, außer für die wenigen, die auch noch die steile felsdurchsetzte Flanke hoch zum Glocknerleitl mit Ski aufsteigen. Eigentlich ist der Großglockner im Winter also eher eine Hochtour mit kurzem Skizustieg. Nur langsam werden die Finger warm im Aufstieg zu dieser hochgelegenen, im Winter nicht bewirtschafteten Hütte. Erst dort treten wir in sonnige Firnhänge, die nach oben hin immer steiler und schmäler zum Glocknerleitl führen. Im Sommer ist dieser Teil bei Ausaperung heikel, jetzt bei bestem Trittschnee trotz der steilen Flanke im oberen Bereich aber kein Problem. Oberhalb des Glocknerleitls beginnen die Eisenstangen, über die es sich am exponierten Gipfelgrat gut sichern lässt. Der Grat ist fast durchgängig mit festem Trittschnee bedeckt, beste Verhältnisse also, bis auf die Bergsteigermassen, die kurz vor dem Gipfel des Kleinglockners immer mehr ins Stocken kommen. Laut Führer ist es zwischen Kleinglockner, Glocknerscharte und dem folgenden Aufschwung zum Hauptgipfel kaum möglich, entgegenkommenden Bergsteigern auszuweichen. Die Realität sieht anders aus. Zusammengerechnet stehen wir mindestens 1,5 h im Stau. Immerhin wird die Wartezeit mit einer fantastischen Aussicht auf den Gipfel und die umliegende Bergwelt entschädigt. Bei zügigem Steigen entgehen einem oft solche Momente, in denen man sich Zeit nehmen kann, die Landschaft zu genießen. So hat dieser Stau auch seine guten Seiten, zumindest wenn man es schafft, nicht die Nerven zu verlieren und nicht vorzeitig umzukehren. Die Glocknerscharte ist die schmalste Stelle des Aufstiegs. So mancher fürchtet sich hier vor dem Blick in die beeindruckende Tiefe, dorthin, wo die berühmte Pallavincini-Rinne hochzieht. Direkt darüber folgt kurz vor dem Gipfel die schwierigste Kletterstelle in etwas steilerem kombiniertem Gelände. Auch hier zeigt sich, dass Frank, der als gelernter Nautiker jahrelanger auf hoher See unterwegs war, auch auf hohem Berg keine Probleme hat, genau wie Domenico und Andi, der hier einen weiteren Berg für seine Tourenliste sammelt, bevor seine Fachübungsleiterausbildung beginnt.
Irgendwann stehen wir dann doch am Gipfel, nicht sehr lange allerdings, weil der Platz knapp ist und die nächsten auch ihr Gipfelglück genießen möchten. Beim Abstieg haben wir zum Glück weniger Probleme mit Gegenverkehr und Wartezeiten. Nur die ganz Langsamen und diejenigen, die absichtlich spät losgingen, um azyklisch den Staus aus dem Weg zu gehen, kommen uns nun noch entgegen. Vom Glocknerleitl können wir den ganz Mutigen bei der Skiabfahrt zuschauen, wie sie die steile Rinne abfahren. Wir steigen zu Fuß ab durch die inzwischen zerwühlte Spur. Nachdem wir am Skidepot wieder die Ski anziehen, freuen wir uns über eine Pulverauflage auf dem Gletscher und fahren ab zur Hütte. Vor der Hütte sitzen wir in der Sonne auf der Terrasse vor der Holzstatue, wahrscheinlich des Hr. Stüdl, und genießen ein erstes Kaltgetränk. Mich zieht es nochmal in Richtung Rosmarinwandkopf (3511m), eigentlich das Ziel des nächsten Tages. Die Wärme hat allerdings an dessen Hängen einen deutlichen Deckel auf dem Schnee geschaffen, der den Abfahrtsgenuss einschränkt. Wir entscheiden uns, am nächsten Morgen abzufahren und vom Parkplatz aus Richtung Böses Weibl (3199m) aufzusteigen. Nach einer kalten Nacht ist die Abfahrt über die zerfahrenen Hänge und gefrorene Abfahrtsspuren dann recht ruppig. Erst nach dem Aufstieg zu einem kleinen Vorgipfel über dem Tal wird der Schnee weicher und wir genießen eine letzte Abfahrt. Wie es sich in einem alpinen Nationalpark wie hier in den Hohen Tauern gehört, zieht dabei zum Abschied ein Steinadler majestätisch seine Runden über uns.
Jochen Dümas