Mit angenehmer Müdigkeit vom Schwärzenkamm-Klettersteig samt Abstecher zur Fidelitashütte und mit einem Bierchen in der Hand schaue ich nach dem leckeren Abendessen gespannt auf den Aushang in der Langtalereckhütte: „Samstag, 15.07.2017 11:00 Uhr, Eiskögele, Messe mit Einweihung des neuen Gipfelkreuzes“. Ein erstes Bild entsteht in meinem Kopf: Zahlreiche Obergurgler finden sich oben auf dem Gipfel ein, mittendrin eine Handvoll Sektionskarlsruher und während der Pfarrer seine Reden hält und zwischendrin eine kleine Blaskapelle uns musikalisch beglückt, lassen wir uns von den Sonnenstrahlen und der tollen Gipfelaussicht verwöhnen... Da so etwas nicht alle Tage vorkommt und ich die anderen für den nächsten Tag angebotenen Gipfeltouren schon einmal gemacht habe, laufe ich ‘rüber in die Stube und trage mich in die Eiskögele-Teilnehmerliste ein.
Ein Blick auf die Karte zeigt, wie nah der Eiskögele - als einer der nächstgelegenen Gipfeln der Langtalereckhütte - gefühlt liegt. Gerade mal 2,5km Luftlinie. Man sollte sich allerdings von dieser einfachen Rechnung nicht täuschen lassen, denn es sind immerhin von 2430m auf 3233m ca. 800 Höhenmeter aufzusteigen. Und da man selbst im 21. Jahrhundert immer noch nicht Luftlinie läuft, sind dennoch ca. 4,4km zurückzulegen pro Richtung. Im Vergleich zu den anderen Gipfeln darf man bei der Eiskögeletour trotzdem den Wecker etwas wochenendgerechter klingeln lassen. Nach ausgiebigem Frühstück, Fertigpacken, Schuhsuche an der Präsentationswand und Wanderstock-auf-die-richtige-Länge-einstellen bricht die Delegation der Karlsruher DAV-Sektion, bestehend aus Wolfgang, Jürgen, Hans und mir schlussendlich doch noch kurz nach 8 Uhr auf in Richtung Eiskögele.
Das Wetter ist OK, zwar bewölkt, aber immer wieder ist durch Lücken der blaue Himmel zu sehen. Für den schweißtreibenden Aufstieg gar nicht mal so schlecht. Am Gipfel wird bestimmt die Sonne scheinen, so wie ich es mir im Kopfkino am Vorabend ausgemalt habe. Das erste Stück durch das Langtal ist zum Aufwärmen, richtig Wachwerden und zum Genießen der Aussicht auf den Langtaler Ferner und der davor liegenden, vom Gletscher nach Lehrbuch gerundeten Talsohle. Darauf strahlt die Sonne durch die Wolkenlücken direkt vor unseren Augen ein kleines Lichtfestspiel.
Das sind die Momente, wo man als Hobbyfotograf kaum vom Fleck kommt. Alle paar Sekunden ändert sich das Bild um einen herum und die Berge erscheinen im neuen Rampenlicht. Das will natürlich mit der Kamera festgehalten werden.
Der Weg schlängelt sich weiter gemächlich hoch, kaum eine Höhenlinie wird vom Weg gekreuzt. Nach ca. 2km ändert ein kleines, nach links weisendes gelbes Schild mit der Aufschrift „Eiskögele“ das Ganze schlagartig: Es geht steil bergauf. Weg und Höhenlinien haben sich wohl ab diesem Punkt auf einen Kreuzungswinkel von 90° geeinigt – bis zum Gipfel. Unser Tempo wird langsamer, umso schneller sprießen dafür die Schweißperlen auf die Stirn.
Kurz danach überholt uns ein jüngerer Herr. Dicht hinter ihm ein weiterer Herr in ebenso zügigen Schritten bergauf. Und wie schnell die laufen… es müssten bestimmt beide Einheimische sein! Der Vordermann kommt uns irgendwie bekannt vor und wird schnell identifiziert als der Bruder vom Hüttenwirt Georg Gufler. Aber seine Begleitung, ob dies wohl der Pfarrer sei? Was zügiger Aufstieg bedeutet, führt uns 15 Minuten später ein weiterer älterer Herr vor, der an uns vorbeizieht. Wir überlegen nicht lange: Dem Tempo nach zu urteilen 100% einheimischer Bergsteiger.
Auf die gegenüberliegende Felswand halten wir immer wieder Ausschau nach unseren Karlsruhern, die sich für heute den Schwärzenkamm-Klettersteig vorgenommen hatten. Die leuchtenden Kletterhelme in Orange können wir selbst ohne Fernglas schnell ausmachen. Mit steigender Höhe tauchen so langsam auch die hintersten Gipfeln des Langtals auf. An den Berggraten sorgen der Wind und die aufziehenden Wolken für faszinierende Bilder.
Manche dieser Wolken ziehen mittlerweile immer wieder als Nebelschwaden über uns, die uns die Sicht für Minuten versperren. Dank eifrigem Einsatz mancher aus dem Hütten- und Wege-Team in den vergangenen Jahren ist der Weg dennoch selbst bei Nebel gut zu finden. Damit keine Langeweile aufkommt, haben die Tourismusbehörden stellenweise nachträglich weitere „alternative“ Markierungen platziert, so dass man wählen kann, ob man am rechten Murmeltierloch vorbeischlendert oder 8 Meter weiter links die Behausung des Murmeltiernachbars bestaunt.
Als es weiträumiger aufreißt, erscheint das Eiskögele mit dem neuen Gipfelkreuz vor uns, gar nicht so weit entfernt, so scheint es zumindest. Der Bergsteiger, der vorhin an uns vorbeigezogen ist, hat die zwei Herren bereits eingeholt. Alle drei sind kurz vor dem Gipfel. Bis wir ebenfalls oben ankommen, vergeht noch eine Weile und es ist bald 11 Uhr. Die Sonne kommt kaum noch durch die Wolkendecke und der frische Wind zwingt uns dazu, Mütze und Handschuhe anzuziehen. Die Wegmarkierung führt uns durch scharfkantige Schuttfelder, die zum Testen unserer Trittsicherheit zusätzlich mit einigen Zentimetern nassem Schnee bedeckt sind. Jeder Schritt muss bedacht sein. Das dauert…
Wir kommen mit etwa einer Viertelstunde Verspätung am Gipfel an, sind glücklich diesen erreicht zu haben und werden von den Anwesenden herzlich begrüßt. Dankenswerterweise haben die drei Herren mit dem Beginn der Gipfelkreuzeinweihung auf uns gewartet, um nicht zu sagen, sich einen abgefroren. Ich schaue mich um, keine weiteren Leute. Ein Blick über die Felskante in die steil abfallende Ostflanke Eiskögeles, keine Blaskapelle. Nun gut.
Es macht sich trotz kaltem Wind eine ruhige Stimmung breit und werden andächtig. Sobald beginnt der Herr Pfarrer, den Georg‘s Bruder hierher begleitet hat, mit der Messe „Im Namen des Vaters...“. Nach der Lesung und der Bitte an Gott, Unheil vom Gipfelkreuz und den Bergsteigern fernzuhalten, folgt der Höhepunkt der Zeremonie: Das Gipfelkreuz am Eiskögele wird eingeweiht. Nachdem wir ebenfalls mit Weihwasser unseren Segen erhalten, beten wir gemeinsam das „Vaterunser“.
Beim anschließenden Gipfelfoto schaffen es doch noch ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke hindurch und werden mit einem Ausblick auf die angrenzenden Berge belohnt.
Der frische Wind treibt uns dennoch ziemlich schnell zum Aufbruch hinab ins Tal. Auf dem Abstieg behalten wir den Himmel kritisch im Blick, denn immer wieder wechseln sich Regentropfen mit Sonnenschein ab. Aber so richtig regnen will es dann doch nicht. Jemand da oben will sich wohl ein Spaß aus uns machen und uns dazu bringen, ständig die Regenjacke aus- und wieder einzupacken.
Ausgestattet mit so viel Segen folgen uns auf dem Rückweg sogar die Schäfchen eine ganze Weile nach. Es stellt sich jedoch schnell heraus, dass die Treue doch eher irdischen Ursprungs ist, denn diese hält nur so lange an, bis auch das letzte Schaf kapiert, dass wir keine Leckerlis für sie haben.
Und die Karlsruher Delegation? Wir folgen ebenfalls langsam aber sicher unserer Nase nach zu den Tiroler Leckerlis von Georg und seinem klasse Team auf der Langtalereckhütte.
Danke allen, die dabei waren für die besinnliche schöne Tour :-) !
Georg Schmidt