Das Projekt von Jacqueline Fritz wird fortgesetzt
Als in März 2020 die Grenzen schlossen war ich den Tränen nahe, da ich mein Projekt wieder in Gefahr sah. Als zum 15. Juni wieder Reisefreiheit herrschte, setzte ich mich Anfang Juli in mein Auto und fuhr an den Lago Maggiore.
Ich traf mich mit den Tourismusverbänden, Guides und Dolmetscher und fing mit den ernsthaften Planungen 2020 an. Wir Laila Tkotz (Fotografin und Filmerin), Loui (Begleithund) und ich hatten ein sehr knappes Zeitfenster zur Verfügung, die Hütten in diesem Gebiet waren schon ziemlich ausgebucht. Wir beschlossen von Macugnaga aus zum Gletscher zu gehen, dort zu filmen und dann die Besteigung von Alagna aus zu machen. Der Plan war perfekt - Locals aus Alagna boten ihre Hilfe bei Planung und Übersetzung an. Alle vom Ort fanden das Projekt richtig spannend und fieberten jetzt schon mit.
Am Sonntag, 12. Juli starteten wir mit unserer Tour von Macugnaga aus. Das erste Ziel war der Lago di Locce. Dort wollten wir wieder Zelten. Der Weg führte uns zuerst durch Weidegebiet, später ging es über einen Pfad an einer Felswand entlang immer steiler bergauf. Von Schildern erfuhren wir, dass oberhalb von uns Weidetiere stehen, die von Herdenschutzhunden bewacht werden, nun war uns etwas mulmig zumute, wie diese Hunde wohl auf Loui und uns reagieren werden.
Schon bald ertönte lautes Hundegebell. Von etwas oberhalb konnten wir beobachten, dass der Hund die Schafe und Ziegen von uns weg trieb, also keine Gefahr. Bei einer verfallenden Alpe, wo die Alpenrosen blühten und es nach Sommer duftete, machten wir Rast. Ab hier wurde der Weg immer anspruchsvoller, wir mussten über schroffes Blockwerk steigen und es ging immer steiler bergauf. Er ging über in einen kleinen, sehr steilen, rutschiger Pfad. Unerwartet kam uns in diesem Glände ein Mann entgegen und meinte, dass uns nach ein paar weiteren Höhenmetern eine traumhafte Landschaft mit atemberaubendem Blick auf das Monte Rosa Massiv erwartet. Angespornt machten wir uns auf den Weg. Tatsächlich, wir kamen auf eine kleine Ebene, übersät mit Bachläufen, überall auf den Grasflächen war vom Wind zerzaustes Wollgras, um die Wiesen herum blühende Alpenrosen und Heidelbeersträucher - gigantisch. Etwas weiter wird der Blick frei auf die richtig großen, mächtigen schneebedeckten Berge des Monte Rosa.
Sie türmten sich wie aus dem Nichts vor uns auf. So richtig konnten wir es in diesem Moment nicht glauben, dass wir in ein paar Tagen da oben stehen werden. Hochmotiviert setzten wir unsere Tour fort, Kilometer um Kilometer, Höhenmeter um Höhenmeter immer weiter hinauf.
Inzwischen waren wir schon etwas müde, unsere Schultern rebellierten gegen die schweren Rucksäcke - aber von weitem erkannten wir eine Berghütte. Nun kann der See auch nicht mehr weit sein - dachten wir uns. Bei der Hütte angekommen, war es etwas bewölkt und recht frisch. Keiner von uns hatte mehr Lust zu dem See zu laufen. Denn zu diesem, mussten wir nochmal einen kleineren Berg besteigen. Frust und Hunger machte sich breit, Laila schlägt vor, hier und jetzt das Zelt aufzubauen. Der Platz wäre eben, einen Bach für unser Trinkwasser und um uns frisch zu machen und das Tagesziel wäre sofort erreicht. Aber irgendwie lockte mich der See, allerdings schmerzten meine Schultern, Armen und Händen immer mehr. Laila merkte, dass ich trotz allem gerne zum Lago di Locce gehen würde und motivierete mich zum weitergehen.
Sie lief etwas schneller voraus, ich zählte meine Schritte, um mich von den Schmerzen abzulenken. Hurra, es klappte! Nach circa einer weiteren Stunde standen wir am Fuße des Gletschers und an "unserem" See. Leider enttäuschte der Blick etwas, Internet und Realität gehen doch etwas auseinander.
Es wurde schon langsam dunkel und wir sollten schnell unser Zelt aufbauen. Dies entpuppte sich zu einer größeren Herausforderung, da wir keine gerade Fläche ohne Steine fanden. Nochmal ein Stückchen nach oben steigen, um nach einem besseren Plätzchen für die Nacht zu schauen. Da auch dort der Boden felsig und hart war, mussten wir sehr kämpfen überhaupt Heringe in den Boden zu bekommen.
Inzwischen war es schon fast dunkel und wir mega hungrig. Schnell bereiteten wir noch alles für die Nacht vor, um uns dann endlich über unsere Pasta (wie sollte es auch anders in Italien sein) her zu machen. Als Nachtisch noch Mousse au chocolat und die Anstrengungen waren vergessen.
Am nächsten Morgen ist es grau vor Nebel, wir sahen gar nichts mehr. Schnell noch was essen und zusammenpacken, dann konnte es wieder losgehen. Das heutige Ziel war das Bivacco Capanna Damian Marinelli. Beide hofften wir, dass sich das Wetter bessert, denn der Weg sollte alles andere als leicht zu finden sein und dies ist bei Nebel so´ne Sache. Als wir nach 2 Stunden an einer Wegabelung standen, verschlug es uns die Sprache, der Pfad zu dem Bivacco war von einer Mure zerstört und gesperrt. Wir beschlossen dem Weg zu folgen, der wieder zurück nach Macugnaga führte. Entlang einer riesigen Mure bahnten wir uns mühevoll den Weg zurück. Als wir oberhalb von Macugnaga bei Belvedere standen, riss der Himmel auf und die heiße Sonne begleitete uns auf dem Weiterweg ins Tal.
Am Freitag, 17. Juli brachen Laila, Loui und ich zusammen mit Andrea Pierettori auf zum 3647 Meter hohe, im Aostatal Tal liegende Refugio Capanna Giovanni Gnifetti. Auf dieser Strecke konnten wir uns langsam aufs Gletschergehen der kommenden Tagen einstellen.
Auch Loui konnte nun zeigen, was er als Bergbegleithund alles gelernt hat. Eigentlich sollte die Seilschaft mit Andrea, Loui mit mir und am Ende Laila aufgestellt sein. Doch mein Loui ließ es sich nicht nehmen, die Seilschaft anzuführen. Gezielt und konzentriert führte er uns an Gletscherspalten vorbei, warnte uns bei Gefahrenstellen oder vereisten Passagen. Er machte mich damit mächtig stolz, wie großartig er seinen Job erfüllte und dabei genauso viel Spaß hat wie ich selbst. Dass ein solch kleiner Hundemann diese Unternehmungen ohne murren meistert, dabei für meine Sicherheit sorgt und zur Not sein eigenes Leben riskieren würde zollte meinen größten Respekt.
Wahnsinnig glücklich und zufrieden kommen wir vier am Nachmittag auf der Gnifettihütte an. Bei unserem heutigen Weg konnten wir erkunden, an welchen Stellen und wann wir am besten filmen, wie wir die Seilschaft aufstellen und uns auf ein gemeinsames Gehtempo einstellen, mit dem wir uns die folgenden Tage am Berg bewegen werden.
Der zweite Tag führte uns über den Lysgletscher zur Europas höchstgelegene Margherita Berghütte und unserem ersten 4000er…der Signalkuppe mit 4554 hm. Später sollte noch Nicola Degasparis zu unserer Seilschaft dazustoßen. Mit Hilfe von ihm ist es für Laila einfacher zu filmen. Die beiden können sich dann unabhängig von Andrea und mir bewegen. So ist es für Laila möglich, schönere, spektakulärere Aufnahmen zu machen.
Der teils schwierige, sehr schmale Weg zog sich recht weit, bot uns aber eine traumhafte Gletscherkulisse. Fast oben angekommen, passierte mir ein großes Missgeschick. Ich stolperte im sulzigen Schnee, fiel nach vorne und beim Abfangen ließ ich meine Krücken los. Die rechte Krücke lag neben mir im Schnee, die Linke rutschte einen steilen Abhang hinunter. Hunderte Meter weiter unten stoppte sie und ist mit viel Glück in keine Gletscherspalte gefallen. Dann hätte ich wirklich ein großes Problem gehabt.
Meine Krücken hab ich mir speziell für Hochtouren im Schnee sowie Skitouren selbst zusammengebaut. Unten in den Gummistöpsel habe ich den Aufsatz eines Stahlbohrers mit Epoxiharz eingegossen. So habe ich einen langen Dorn, der auf Eis und Schnee nicht wegrutschen kann. Als Tellerersatz dienen Frisbeescheiben, diese habe ich mit Hilfe eines Stahlrohrs an der Krücke befestigt. Damit nicht bei jedem Schritt zu viel Schnee nach oben gezogen wird, habe ich größere Löcher in die Frisbeescheiben gebohrt. Dieses System hat eigentlich einwandfrei funktioniert, allerdings merkte ich nun, dass die Teller viel zu instabil und zu groß sind. Ich behinderte mich bei fast jedem Schritt selbst, da ich keinen Platz hatte meinen Fuß gut und richtig zu setzen, so kam es auch zu dieses Missgeschick. Jetzt hatten Laila, Loui und ich erst mal Zwangspause und Andrea machte sich zum Glück auf, meine Krücke zu holen. Nach einer bangen Wartezeit von einer halben Stunde in eisiger Kälte, konnte es nun dank Andrea weiter gehen. Nachmittags gegen drei Uhr erreichten wir müde aber glücklich die Magheritahütte und freuten uns auf eine kleine Stärkung mit einem guten, starken, italienischen Kaffee.
Schon am nächsten Tag wollten Andrea, Nicola und ich die Dufourspitze besteigen. Die beiden Jungs brachten noch am Abend Fixseile an, um uns den Auf- und Abstieg zu erleichtern. Ich ruhte mich derweil in der Hütte aus und gab meinen geplagtenSchultern Zeit sich zu erholen. Zum Glück konnten wir die Seile im Vorfeld mit dem Helikopter zur Hütte schicken. Da wir sehr viel Technik und Kameraequipement dabei hatten, waren unsere Rucksäcke sowieso schon extrem schwer. Wir waren wahnsinnig froh darüber, dass wir nicht auch noch die Seile tragen mussten.
Am nächsten Morgen um sechs Uhr ging's los, auf zur 4562m hohen Zumsteinspitze, die Dufourspitze war unser Tagesziel. Laila verbrachte mit Loui den Tag auf der Hütte, sie wollte uns filmerisch mit der Drohne verfolgen.
Wir starteten, um die anderen Bergsteiger nicht aufzuhalten, als letzte Seilschaft. Der Weg sollte ziemlich anspruchsvoll sein, was bedeutet, dass ich viel langsamer als die Anderen bin. Leider standen die Chancen für einen Gipfelerfolg auf Halbmast, da schon für den frühen Nachmittag dichter Nebel angekündigt war. Um nichts zu riskieren besprachen wir uns im Vorfeld, dass wir den Rückzug antreten bevor die Nebelfront auf uns zukommt. Leider kam es genauso wie angekündigt. Nach drei-viertel der Strecke mussten wir schweren Herzens abbrechen, wir hatten noch den langen Rückweg mit Abbau der Fixseile vor uns. Gerade jetzt, wo wir uns eingegrooved hatten und es schneller voran ging, gerade jetzt wäre ich in meinem Element gewesen. Bis zum Gipfel wäre es leichte Mixed-Kletterei gewesen, aber alles zetern bringt nichts, wir mussten zurück.
Natürlich waren wir erst etwas enttäuscht, letztendlich trotzdem stolz so weit gekommen zu sein. Besser als gedacht bahnten wir uns den Weg zurück zur Hütte. Bei der letzten etwas härteren Kletterei passierte es dann… Beim Hochschauen um den Pickel zu setzen, schlug ich mit dem Kopf gegen ein Felsstück und die am Helm befestigte GoPro fiel ab und stürzte mehrere tausend Meter nach unten ins Nichts. "So ein Mist, auch das noch." Nach kurzem Schock waren wir trotzdem froh, dass es nur die GoPro und nicht einer von uns war.
Glücklich und voller Stolz erreichten wir bei starkem Wind und Nebel die Hütte. Laila und Loui erwarteten uns schon mit Vorfreude auf gute Nachrichten. Leider mussten wir berichten, dass wir weder den Gipfel erreichen konnten, noch tolle GoPro Aufnahmen mitgebracht haben. Nach dieser Enttäuschung, konnte nur noch das gute Abendessen auf der Hütte, den Frust glattbügeln.
An den folgenden Tagen gelang es uns drei weitere 4000er zu besteigen. Die Parrotspitze mit 4443 m, das Balmenhorn mit 4167 m und die Ludwigshöhe mit 4344 m. Um den letzten Tag etwas zu entzerren, beschlossen wir nochmal eine Nacht auf der Gnifettihütte zu verbringen. Bei Kuchen und Kaffee feierten wir unsere fünf 4000er. Es war Wahnsinn, dass wir diese Hochtour bei bestem Wetter machen konnten. Schon heute zog eine Tieffront herbei und für die kommenden Tage war starker Wind und Schneefall gemeldet. Mehr Glück als wir konnte man wirklich nicht haben. Am letzten Tag ging es dann noch einmal über Blockwerk und flachen, einfachen Gletscher zurück ins Tal nach Alanga.
Wir wurden schon neugierig erwartetet und und mit Spannung gefragt, ob wir unser Filmprojekt „Ein Traum in Pink" erfolgreich beenden konnten. Wir freuten uns riesig über das rege Interesse der Italiener. Schlagartig waren wir nun wieder im Sommer angekommen, mental waren wir noch total im Bergmodus mit Schnee und Kälte. Hier unten im Tal war es so warm, dass wir uns spontan mit einigen Leuten in einer typisch italienischen Bar trafen, um uns bei kühlen Getränken über die spannenden vergangenen Tage auszutauschen.
Den darauf folgenden Tag verbrachten wir wieder da, von wo aus wir das Projekt starteten. In Verbania, direkt am Lago Maggiore. Auf pinkenen Flamingos ließen wir uns völlig entspannt auf dem See treiben.