„Wasser läuft!“ Darauf hatten alle gewartet. Der dicke Plastikschlauch ist endlich von einem Pfropfen aus Dreck befreit, das frische Schmelzwasser fließt wieder direkt vor die Gruebenhütte und befüllt die Vorratsfässer. Denn Wasser ist knapp in dieser Höhe. Erstes Etappenziel erreicht, nun brechen wir auf zur eigentlichen Tour.
Aber halt! Erzählen wir doch lieber von Anfang an. Wie die Jahre zuvor hatte Stefan eine Ausfahrt auf die Gruebenhütte organisiert und Ursel, Achim, Andi B.F., Andi R. und Dietrich waren der Einladung gefolgt. Gerüchten zufolge waren die Teilnehmer nicht wegen des Kletterns, sondern wegen der versprochenen Heidelbeerpfannkuchen mitgekommen, aber dazu später.
Andi R. und Dietrich waren erst Donnerstag Abend angereist und nach einem Hüttenaufstieg bei Dunkelheit und Regen wurden sie von den restlichen Teilnehmern mit leckerem Kürbis-Steinpilz-Risotto empfangen. Zum Nachtisch noch ein paar Heidelbeeren, die die Vorhut tagsüber in reichlicher Menge gesammelt hatte.
Der Freitag beginnt wolkenverhangen. Da bei den Bedingungen eh nicht an eine große Tour zu denken ist, kümmern wir uns erst mal um die Wasserversorgung.
Die Selbstversorgerhütte des AAC Basel steht herrlich exponiert auf einem kleinen Sporn und ist für die Wasserversorgung auf Schmelzwasser vom Gletscher angewiesen, das durch lange Schläuche zur Hütte geleitet wird.
Nachdem das Wasser wieder lief, machten wir uns gemeinsam auf zum Golegghorn (3070m). Die Sonne bekamen wir zwar nicht zu sehen, doch das trockene Wetter hielt, und so genossen wir zusammen die Gipfelrast.
Auch bei nicht so großen Touren muss man den richtigen Abstiegsweg finden und nach etwas Suchen kommen wir wieder gut auf der Hütte an. Zum Abendessen zu früh, für eine ernsthafte Tour zu spät. Die Lösung des Problems liefert Stefan in Form von gebackenen Teigfladen mit Blaubeerfüllung. Währenddessen machen sich Dietrich und Andi B.F. auf zum Klettergarten unterhalb der Hütte, um noch gemütlich eine 6a zu machen. Eigentlich nichts wildes, aber diese hat es faustdick hinter den Ohren, und Andi absolvierte ein unfreiwilliges Sturztraining - zum Glück nur mit leichten Blessuren. Zurück lassen sie sich erst mal Stefans Heidelbeerpfannkuchen schmecken, bevor es nahtlos zum Abendessen übergeht, Polenta mit frischer Champignonsauce.
Für Samstag war Sonnenschein vorhergesagt, und ein sternenklarer Morgenhimmel zeigt, dass die Chancen gut stehen. Stefan und Ursel brechen noch bei Dunkelheit auf zum Hiendertelltihorn (3179m), das sie über den steilen Ostgrat angehen, Dietrich und Andi B.F. etwas später zum Steinlauihorn (3167m) via Südostgrat, sowie Achim und Andi R. zum Hientertelltihorn-Nordgrat.
Der Weg zum Nordgrat erweist sich schwieriger als gedacht. Trotz der dürftigen Angaben aus dem Führer ist der Zustieg schnell gefunden. Jedoch hat der Gletscherschwund eine zusätzliche Einstiegsseillänge beschert, anspruchsvoll, plattig, mit viel Bruch und wenig Sicherungsmöglichkeiten. Das alles mit Bergstiefeln. Danach geht es noch drei Seillängen im dritten Grad weiter, nicht mehr so schottrig, aber der Fels geizt mit Rissen und Spalten zum sichern, und so gibt es einen Runout nach dem anderen, bis der Grat erreicht ist. Für den Gipfel ist es zu spät, der heikle Zustieg hat zu viel Zeit gekostet, an Abseilen ist gar nicht zu denken.
Also den Nordgrat in Gegenrichtung zum Gruebenjoch hin, wo laut Führer ein weiterer Zustieg zum Nordgrat sein soll. Hoffentlich auch für den Abstieg geeignet!
Zur großen Erleichterung ist der sehr gut machbar, ein Zweier, und man steigt überschlagend gesichert ab.
Bald ist die Hütte erreicht, wo auch Dietrich und Andi B.F. schon zurück sind.
Diese hatten den klassischen Einstieg zum Südostgrat des Steinlauihorns gewählt, interessante Kletterei, gut wenn man auch etwas kleinere Keile zum Absichern dabei hat! Die Tour selber war schöne Kletterei mit Zwischenpassagen, man konnte immer wieder am gleitenden Seil oder doch komplett frei laufen. Es gab mehrere kleine Vorgipfel die man erklettern musste, um dann abzusteigen: beim Anklettern (Südost-Seite) problemlos, beim Abklettern in die jeweilige Scharte hinein, Nordwest-Exposition, von daher sehr brüchig. Hatte etwas von Blätterkrokant, welchen man lieber essen als beklettern möchte.
Der Abstieg vom Gipfel zur Scharte zwischen Golegghorn und Steinlauihorn war sehr heikel: Lange und steile Schuttrinne, man musste immer nacheinander absteigen mit sehr wenigen Möglichkeiten abzuseilen. An einer Stelle musste man rechts ums Eck herausklettern, weil die Scharte fast senkrecht zum Gletscher abfiel. Kurz oberhalb der Scharte konnte man von einem schön rostigen Ring an zwei Reepschnüren zum Gletscher abseilen (ca. 23 m Abseilstrecke).
Am längsten unterwegs waren Ursel und Stefan mit ihrer Tour auf das Hiendertelltihorn. Planmäßig erreichten sie mit Sonnenaufgang den Einstieg des Ostgrates. Da die ersten Seillängen eine ausgewiesene Schwierigkeit vom dritten Grat sein sollen, hat sich die Vorstiegsfrage schnell geklärt. Ursel staunte, was alles noch zu drei gehört und bot sich gerne als Jäger und Sammler im Nachstieg an. Seillänge um Seillänge stieg Stefan mit wachsender Begeisterung durch den gut griffigen und festen Granit. Er war so angetan, dass er am Auslauf des Ostgrates lieber in den Gipfelaufbau des Nordgrates wechselte und so das Granitglück noch um drei Seillängen verlängern konnte, statt den Rest des Ostgrates in langweiligem „Gehgelände“ zum Gipfel zu gehen.
Dabei erfand Ursel unfreiwillig eine neue mobile Sicherung: den Klemmstiefel. Leider hat sie es versäumt auch gleich den Klemmstiefel-Entferner zu erfinden, und so blieb ihr nur übrig, den hartnäckig verkeilten Schuh mit viel Akrobatik aufzuschnüren und zu bergen. Ob sie diese Sicherungstechnik zum Patent anmelden wird, ist bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Zum Glück war Stefans Stand in Sichtweite, sonst hätte er die Aktion nicht mit aufmunternden, lustigen Sprüchen begleiten können. Vergnügt erreichten die Beiden gegen Mittag den Gipfel des Hiendertelltihorn und genossen bei bestem Wetter und stahlblauem Himmel ihr Gipfelglück auf 3179m.
Der Abstieg über den Südgrat war ähnlich brüchig und vorsichtig zu begehen wie bei den anderen Seilschaften. Endlich an der Scharte angekommen, musste noch ein steiles Firnfeld rückwärts abgestiegen werden, bevor sie in „normalem“ Gehgelände Fahrt aufnehmen konnten Richtung Hütte und Abendessen.
Inzwischen war es Samstagabend und die Anstrengungen des Tages waren verflogen. Lange, anstrengende Latscherei, brüchiger Fels, spärliche Sicherungen, …all das löste sich in Wohlgefallen auf bei Linsen, Spätzle und Chiliwürsten.
Da es am Sonntag nur noch für eine kleine Tour reicht, entschieden wir uns für den Klettergarten an den Gletscherpfeilern in Hüttennähe. Gerade mal 15 Minuten Abstieg von der Hütte, und wir haben 5 - 6 Seillängen besten Aaregranits über uns. Reibungsplatten, Piazschuppen, Risse, Verschneidungen, alles bestens abgesichert. Bis uns auf die letzten Meter ein Nieselregen daran erinnert, dass wir noch gut 3 Stunden Abstieg vor uns haben und nun abseilen sollten.
Aber das Wetter ist gnädig und so kommen wir, weitgehend trocken und nicht ohne noch ein paar Blaubeeren unterwegs zu naschen, wieder an unseren Autos an. Wir sind uns einig: Gruebenhütte wir kommen wieder!
Andreas Reiß