Ein verlängertes Wochenende der Extreme für den Körper, der Schönheit des im Momentseins und der Grautönigkeit der Steine.
Am Donnerstag den 07. September 2017 um 5:05 Uhr ging die Reise los. Ich verließ meine Wohnung und besorgte in einer Nebenstraße das Carsharing-Auto. Damit lud ich Jochen und meinen besten Freund Simon ein. Nach fünf Stunden Fahrt erreichten wir das Hotel Handeck auf der Grimselpassstraße in den Berner Alpen. Dort trafen wir unseren sympathischen und erfahrenen Tourenführer Stefan, seine Unterstützer Dietrich und Claus, sowie Christina, eine weitere Teilnehmerin.
Bis jetzt ist mir noch kein Unterschied zu einer normalen Bergwanderung aufgefallen. Dies änderte sich in dem Moment, als ich meinen Rucksack aufsetzen wollte. Bestückt mit Trockennahrung für vier Tage, Eispickel, Steigeisen, Klettergurt, Karabiner, 50m Seil und anderer Ausrüstung ist mir bei den ersten 100 Schritten schon meine ganze Euphorie verfolgen. Von unserem Parkplatz bis zur Grubenhütte (2512 m) gab es 1100 hm zu überwinden. Ich nahm meine selbstauferlegte Herausforderung an und kämpfte mich und mein Gepäck die wunderschönen mit Heidelbeeren bestückten Berghänge herauf. In den Gehpausen sammelten meine nicht ganz so erschöpften Bergbegleiter fleißig Heidelbeeren für Frühstück und Pfannkuchen der nächsten Tage.
Das Erreichen des Grubensees mit dem Blick auf den Grubengletscher, oder besser gesagt die mit einer feinen Schuttdecke belegten Reste davon, war mein erster Kontakt mit einem Gletscher. Die Dimensionen der Geröllsteine und offenen Eisflanken sowie die erdrückende Grautönigkeit des umgebenden Granits beeindruckten mich.
Die Rettung meines Tages, die Grubenhütte, stellte sich als sehr gemütliche Unterkunft mit allem was man fürs Leben eben brauchte heraus. Es gab einen Holzofen zum Kochen, Gewürze, Gletscherwasser, bequeme Hüttenbetten und ein Dach über dem Kopf. Das Kochen wurde aufgeteilt, sodass immer zwei aus unserer Gruppe ein leckeres Abendessen kochten.
Mit neuer Kraft und einem ausgiebigem schmackhaften Frühstück aus Babybrei ging es am Freitagmorgen mit dem eigentlichen Programm los. Unser Ziel ist das Steinlauihorn, Südwestgrat. Der Anmarsch über die tw. sehr steilen Gletschermoränen verlief ohne Probleme. Im blockigen Gelände ging es nach einer Einweisung in Seilsicherungstechnik mit der Kletterei am Seil der Schwierigkeit 3-4 in Richtung Grat immer nach oben. Das Wetter war angenehm sonnig. Ruck zuck sind aber sieben Stunden um gewesen und wir mussten um 14 Uhr umdrehen. Den Grat haben wir nicht erreicht. Dies machte aber niemanden traurig, da wir alle sehr viel praktische Erfahrung im Sichern und Klettern am Fels gelernt haben.
Der Samstag war ein besonderer Tag für mich. Wegen einer Kaltfront, welche gegen 14 Uhr eintreffen sollte, hieß es heute schon um 5 Uhr morgens Materialcheck vor der Hütte und danach Tourenbeginn. Das erste Stück abwärts von der Grubenhütte in das Gletschertal liefen wir in vollkommender Dunkelheit. Das Absteigen sowie das Betrachten der sich einzeln bewegenden Stirnlampen über Granitsteinen jeglicher Größe erzeugte bei mir den Eindruck einer feierlichen Mondmission. Es wurde nicht viel gesprochen. Jeder war beschäftigt mit sich und dem sicheren und energiesparendem Setzen seiner Füße. Die Dunkelheit umschlang jeden, doch das Licht der Stirnlampen verband uns.
Unser Tagesziel bestand aus der Gratkletterei nahe dem Kleinen Diamantstock / Chlyne Diamantstock (2839 m) inklusive dem überqueren eines Gletschers beim Aufmarsch an den Fels. Das erste Mal mit Steigeisen sich zu bewegen, war für mich sowie Simon eine tolle Erfahrung. Ich hatte nicht erwartet, dass man damit bei richtigem Setzen des Fußes so bedingungslosen Halt hat. Als zwei Seilschaften, jeweils gesichert mit immer mindestens einer Eisschraube, bestiegen wir den Gletscher bis zur ca. 1,5 m breiten Randkluft, die wir über eine Schneebrücke überqueren konnten. Hier ging es weiter mit einer kräftezehrenden Kletterei an Fixseilen bis zum Grat zur unteren Bächlilücke. Hier konnte Stefan uns zum ersten Mal die Gratkletterei näherbringen. Die Aussicht war trotz immer weiter sinkender Bewölkung genial. Doch die Ausgesetztheit und Fragilität des nur durch Permafrostboden zusammengehaltenen Granitkamms machte mir mental ganz schön zu schaffen.
Der Abstieg über dieselbe Route hatte für uns einen Dauerregen vorgesehen, welcher aber zum Glück erst nachdem alle ihre Klettergute und Steigeisen eingepackt und ihre Regenjacken angezogen hatten begann. Angekommen an der Hütte war ich froh, noch am Leben zu sein und an diesem Abend nicht kochen zu müssen.
Der vierte Tag ohne richtige Dusche, es war Sonntag, war unser Abreisetag. Es hatte die ganze Nacht hindurch geschneit und so verwandelte sich die Landschaft in ein Winter-Märchenlandschaft. Nach dem Hüttenputz nahmen wir den Müll und unsere Ausrüstung wieder mit. Meine Hoffnung, dass beim Abstieg das Gepäck leichter sei, wegen dem verbrauchten Essen, wurde durch das immer noch nasse und somit fast doppelt so schwere Kletterseil durchkreuzt. Bei 30 cm Neuschnee rutschten…ähm, …liefen wir den Berg wieder herunter. Dietrich und Stefan führten uns sicher durch das nur spärlich markierte Blockgelände. Weiß wurde langsam zu Grün. Im Hotel Handeck ließen wir das Alpin-Seminar mit einem tollen Essen ausklingen und gaben uns gegenseitig Feedback.
Mein Fazit dieses Abenteuers ist, dass ich mir für nächstes Mal vornehme mehr Bergsteigen mit viel Gepäck zu trainieren. Ich bin dankbar dafür meine eigenen physischen und psychischen Grenzen ein wenig überwunden haben, ohne mich zu verletzen. Ich weiß nun, welches Gepäck ich nächstes Mal nicht unbedingt mitnehmen muss! Meine Essensplanung ist aufgegangen. Ich bin dankbar, dass ich der Natur und einem „natürlichen“ Leben, welches nur auf existenziellen Problemen beruht, so nahe sein konnte. Ich bin dankbar dafür, mit so netten, motivierten und kompetenten Menschen dieses Wochenende verbracht zu haben.
Gabriel Glaser